Don de Rosario

“Oh ja, der Sítiario ist ein guter Mann. Es ist nicht leicht, Fehler bei einem so ... mächtigen ... Mann zu finden...“ (aufgeschnappt auf dem zentralen Viehmarkt in Trimano)

Man sieht, dass noch immer viel almadanisches Blut in den Adern Fortunatos fließt. Man spürt es auch, wenn man sich in seiner Nähe aufhält. Überall ist der Herr über Yaliea für sein aufbrausendes Wesen berühmt und gefürchtet. Seine elegante Klinge führte er sicher in unzähligen Duellen. Nicht eine Narbe blieb auf seinem Gesicht zurück. Di Guya ist mächtig – und er weiß es. Andere Barone kommen zu ihm, wenn ihnen einmal wieder das Geld ausgegangen ist und sie einen Kredit brauchen, um sich weiterhin ihren aufwendigen Lebensstil leisten zu können. Neidisch blicken sie auf die weiten Steppen Yalieas und die darauf weidenden, unermesslich großen Rinderherden, in denen jedes Tier das Brandzeichen des Sítiarios trägt. Spöttisch lästern sie über den „Viehbaron“, doch insgeheim müssen sie sich eingestehen, dass sie sofort mit dem langsam grau werdenden Mann Mitte 50 tauschen würden, sei er auch nicht aus altem Adel, sondern seine Familie erst seit wenigen Generationen belehnt.

„Er liebt seine Pferde mehr als seine Frau“ (Marceso, Stallknecht)

Fortunato ist ein Pferdenarr. Er liebt es, lange Ausritte über seinen Besitz zu machen, sei es, um auf der Pirsch eine weitere Trophäe für sein Jagdzimmer zu erlegen, den Zustand seiner Herden zu überprüfen oder einfach nur die Weite des Landes und den Duft des Grases zu genießen. Die Pferdezucht di Guyas ist die bekannteste im Königreich Brabak. Hier züchtet er eine besondere Rasse, deren Schönheit den besten tulamidischen Hengsten gleich kommt.

Tatsächlich nimmt die Frau des Sítiarios, Excellenz Nesereka Ni Biazzan-Guya, die Botschafterin des Kemi-Reichs in Brabak, nicht die höchste Stellung im Leben ihres Mannes ein. Sie benutzt auf ihre Weise die Macht, die ihr die eigene Stellung und die ihres Gatten bietet, um einen Ausgleich zwischen den vor wenigen Götterläufen noch verfeindeten Reichen herzustellen. Ihrem Einfluss ist es auch zuzuschreiben, dass di Guya dem in Brabak ungewöhnlichen Kem’schen Boronritus anhängt.

„Fortunato di Guya ist ein schöner Mann. Die grauen Strähnen machen ihn beinahe noch anziehender...“ (Dominka, Hausmädchen bei Guya)

Der Herr von Yaliea ist ein schlanker, drahtiger Mann, der aus der Nähe betrachtet fast ein bisschen hager wirkt, bis man bemerkt, dass Fett an diesem Körper einfach unvorstellbar wäre. Der tulamidische Einschlag, der von mütterlicher Seite her kommt, ist noch gut zu erkennen. Der Glanz in den Augen Fortunatos – sei es Gier, Hass oder Interesse – ist noch nicht erloschen. Während er von eher durchschnittlicher Größe ist, fallen die langgliedrigen Finger, die wie geschaffen für das Spiel eines Saiteninstruments scheinen, bald ins Auge. Es wird auch gemunkelt, der Sítiario sei ein hervorragender Musiker, doch spielen hörte ihn bisher noch niemand.

„Hütet euch davor, dem Herrn in die Quere zu kommen, achtet gut auf die Herden, dann wird es euch wohl ergehen“ (aus einer Heroldsansprache an die Hirten Yalieas)

Nicht nur das Geld macht di Guya zu einem mächtigen Mann. Angst festigt seine Herrschaft genau wie materielle Macht. Drakonische Strafen erwarten denjenigen, der es wagt, den Besitz des Sítiarios anzutasten, ein Rind zu stehlen oder zu töten. Kammerdiener und Hausmädchen zittern vor den Tobsuchtsanfällen ihres Herrn, den willkürlichen Bestrafungen und Demütigungen. So sehr dieser mentale Druck seine Herrschaft stützt – man sagt, eines Tages werde er sein Untergang sein...doch di Guya hat alle selbst ernannten Propheten widerlegt. Inzwischen hat er sich aus eigenem Willen von seiner Position als Sitiario zurückgezogen und lebt auf seinem Gut Rosaria am malerischen Rosensee. Er will sich in Zukunft ganz auf seine Händlertätigkeit konzentrieren. Die Tatsache, dass er natürlich weiterhin über seine riesigen Herden verfügt, führt zu der absurden Situation, dass sein Vermögen das seines neuen Herrn um ein Vielfaches übersteigt. 

Derweil richtet der Don seinen Blick oft nach Osten. Der Handel mit dem Kemi-Reich wirft noch mehr ab, als Fortunato sich selbst hätte träumen lassen.

Text: Michael Koch